Wir starten zeitig für die fünfte und – so alles gut läuft – letzte Etappe. Für einen Tag ist sie mehr als lang genug. So haben wir uns die Option offen gelassen, im Falle von Ermüdung noch eine weitere Übernachtung einzulegen. Doch eigentlich juckt es uns, heute anzukommen. Es locken unter anderem ein Sprung ins Meer, Barfußlaufen am Sandstrand, das Lieblingsgericht im bekannten Restaurant, das „eigene Bett“ und auch ein wenig der Stolz, die Tour in 5 Etappen bewältigt zu haben.

Zum Abschied bekommt Eva von unserem Gastherrn noch eine Pfauenfeder geschenkt. Wir freuen uns über die nette Geste und runzeln gleichzeitig die Stirn: Ein Tierprodukt von einem Veganer? Vielleicht gilt es ja, wenn der Vogel ganz eigenständig Federn gelassen hat. Wie dem auch sei – Feder ans Rad und ab in den Sattel!

Der Tag lässt sich gut an: Frei von Anstiegen und morgens noch häufig im Schatten einiger kleiner Wälder und Alleen gleiten wir über den Asphalt unserem großen Ziel entgegen – Flow pur! Die Poebene ist von Landwirtschaft und kleinen Ortschaften geprägt. Düfte wie der von Wald, Stroh oder Thujenhecken, gelegentlich unterbrochen vom Urlaubsgeruch „Zweitaktergemisch“, ziehen mir um die Nase. Ein echtes Plus beim Radfahren ist es, mittendrin und mit allen Sinnen dabei zu sein. Kurz zucke ich innerlich zusammen als wir an einem kleinen Bewässerungsgraben entlang fahren, und ich den Geruch von Springkraut wahrzunehmen glaube. Springkraut erinnert mich immer an das Ende des Sommers. Ich bin noch nicht ansatzweise bereit, mich für lange Monate von diesem sonnigen, tragenden Lebensgefühl zu verabschieden.

Je näher es auf Mittag zugeht, desto mehr steigen die Temperaturen. Es sind eher letztere als der Hunger, die uns dazu bewegen, die Mittagspause drinnen zu verbringen. Ein Einkaufszentrum verspricht gekühlte Luft und schnelles Essen. Wir unterhalten uns nett mit der Angestellten des Selbstbedienungsrestaurant, die uns stark an eine italienische Version von Ellen DeGeneres erinnert und bei allem Respekt vor unserer Freizeitgestaltung erklärt, dass sie als Kulisse das Meer den Bergen und als Fortbewegungsmittel das Auto dem Fahrrad vorzieht.

Beim Verlassen der Mall schlägt uns die schwüle Luft wie eine weitere Türe entgegen. Bei oder jenseits menschlicher Körpertemperatur kühlt auch der Fahrtwind nur noch bedingt. Bald schon liegen wir am Straßenrand im Schatten einer Baumgruppe und versuchen, unseren Durst mit dem Teewasser zu stillen, das inzwischen in unseren Radflaschen die kalten Getränke ersetzt hat, mit denen wir uns kurz zuvor versorgt hatten.

Um uns abseits der für Radler unangenehmen bis lebensgefährlichen Strada Romea durch’s Hinterland der Insel zu nähern, habe ich ein Wegstück entlang der Brenta eingeplant. Die Herausforderung des Tages verschärft sich noch ein wenig als sich die Straße, die sich nur unter Verlängerung der Strecke umgehen ließe, plötzlich als Feldweg entpuppt. Alles rüttelt, die Arme jucken ob der starken Durchblutung, und ich hoffe bei den schmalen Reifen inständig, nicht noch wegen eines Snakebites Schläuche wechseln zu müssen.

Alles geht gut. Nach Verlassen des Feldweges purzeln die Kilometer wieder fleißig, und bevor wir endgültig davon schmelzen finden wir in einem weiteren kleinen Ort ein Café mit Bänken im Schatten. Neben kalten Getränken gibt es auch hervorragendes Eis, und wir dürfen vor Abfahrt unsere Radflaschen noch einmal mit kaltem Wasser füllen.

Dann ein Ortsschild „Rosolina“. Der bekannte Name lässt Begeisterung aufwallen. Was die Zahlen des GPS schon lange dem Kopf aber nicht dem Herzen vermitteln, das schafft der Name sofort. Wir sind so gut wie am Ziel! Jetzt noch über die Dammstraße und… Stop! Eva’s Lieblingsbauer hat seinen Obst- und Gemüseladen am Straßenrand zu unserer Linken noch geöffnet. Wir decken uns mit Obst für das morgige Frühstück ein, und ich finde heraus, wie man nur mit Touren-Leichtgepäck noch eine Wassermelone auf einem Rennrad befestigt.

Die Sonne steht tief als wir über die Dammstraße und am Hafen vorbei auf der Insel einrollen. Eva tritt vor einer Geschindigkeitsanzeige mehr als Geste der Freude noch einmal symbolisch in die Pedale, und wir drehen unter harzig duftenden Pinienbäumen noch die Ehrenrunde zum Capo Nord und zurück zum Haus. Geschafft! Von Deutschland auf die Insel aus eigener Muskelkraft – und das über eine Genussroute mit schönen Pässen und allem, was dazu gehört, um den Weg genauso wie das Ziel zu genießen. Wir sind stolz wie Oskar – und kein Stückchen traurig, morgen einfach die Beine hoch zu legen und das „dolce vita“ einwirken zu lassen.